Gustav Adolf Steinle (geb. 14. 11.1890, gest. 06.04.1944) war ab dem 1. Mai 1932 Pastor in Netphen und auch für Unglinghausen zuständig. Im Dritten Reich zeigte Pastor Steinle unter den Nationalsozialisten Zivilcourage. Um an ihn und sein Wirken zu erinnern wurden die nachfolgenden Informationen über die Geschehnisse in den Jahren von 1934 bis 1936 zusamengetragen.
Pastor Adolf Steinle gehörte zur „Bekennenden Kirche“ und war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Die Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ standen wie überall so auch im Kirchenkreis Siegen unter besonderer Beobachtung der NS-Behörden und die meisten hatten wegen angeblicher Vergehen Strafverfolgungen zu erleiden. Es kam aber nur selten zu Verurteilungen und Strafmaßnahmen, sondern blieb bei Ermahnungen oder Geldbußen. Das Vorgehen gegen Pastor Steinle, Pfarrer der Ev. ref. Kirchengemeinde Netphen, bildet für das Siegerland eine Ausnahme und war in seiner Härte einzigartig.
Pastor Steinle hatte sich in einem persönlichen Gespräch in abfälliger Weise über den Nationalsozialismus und seine Vertreter geäußert, obwohl er wusste, dass sein Gesprächspartner Mitglied der NSDAP war. Dieser befand Steinle wegen dessen Aussagen „für den nationalsozialistischen Staat für untragbar“ und schickte einen entsprechenden Bericht an den Bürgermeister des Amtes Netphen, welchen dieser weiter gab an die Staatspolizeistelle in Dortmund mit dem Hinweis, Steinle sei „ein ausgesprochener Gegner des NS-Staates“. Das Schreiben ist datiert vom 6. Oktober 1934. Der Netphener Pfarrer wurde das Opfer einer Denunziation.
Am 17. August 1935 wurde Pastor Steinle von einem Polizeibeamten aufgesucht und nach Siegen gebracht zur Vernehmung. Steinle legte seinen Ornat, also die feierliche Amtstracht, an und wurde so durch seine Gemeinde geführt.
In Siegen erhielt Pastor Steinle eine Verfügung der Staatspolizeistelle Dortmund. Darin hieß es:
„Aus der Fülle der gegen Sie eingeleiteten Verfahren ergibt sich, dass Sie Ihre Stellung als Geistlicher mehrfach zu abfälliger Kritik an führenden Personen und an Einrichtungen des Staates und der Bewegung missbraucht haben. Da alle Mahnungen bisher fruchtlos geblieben sind, ich aber andererseits nicht gewillt bin, Ihre zersetzende Tätigkeit weiterhin zu dulden, untersage ich Ihnen hiermit gemäß § 1 der Verordnung ( ….. ) den Aufenthalt im Landkreis Siegen und für den gesamten Regierungsbezirk Arnsberg jede rednerische Betätigung außerhalb der Kirche“.
Mit der Ausweisung entzog man Steinle seinem Wirkungskreis, also seiner Gemeinde. Verschärfend kam hinzu, dass die Maßregelung unbefristet war.
Die bekenntnistreuen Presbyter der Kirchengemeinde Netphen setzten sich sofort bei der Stapo für ihren Pfarrer ein. Diese zeigte sich jedoch von dem Brief „befremdet“ und lehnte eine Änderung der getroffenen Maßnahmen ab.
Pastor Steinle hielt sich daraufhin zeitweise in Schwelm, Barmen, Radevormwald und Düsseldorf auf und kam zuletzt bei seinem Bruder in Mühlheim (Ruhr) unter. Seine Frau und die fünf Kinder waren in Netphen geblieben. Unter der Trennung und der verordneten Untätigkeit hat der Pastor sehr gelitten. Dies geht aus dem Schreiben Steinles an den Hilchenbacher Pfarrer Dr. Müller hervor. Anfang November 1935 kehrte Steinle nach Netphen zurück. Inzwischen lief bereits ein neues Verfahren gegen den Pfarrer, dass zu einer Verhandlung am 13. Juni 1936 vor dem Sondergericht in Siegen führte. Pastor Steinle wurde vorgeworfen, am 9. August 1935, also kurz vor seiner Ausweisung, Aussagen gemacht zu haben, die das Ansehen der Partei und Ihrer Gliederungen schädigten. Er hatte einen Ausspruch von Reichsminister Goebbels kritisiert, nach dem sich Nationalsozialisten die Gnade des Himmels verdient hätten. Außerdem bezweifelte er die „arische Abstammung“ des Reichsjugendführers Baldur von Schirach. Auch diese im privaten Rahmen gemachten Äußerungen waren wieder durch einen Denunzianten bekannt geworden.
Das Sondergericht verurteilte Pastor Steinle zu sechs Monaten Gefängnis. Strafmildernd wurde allein berücksichtigt, dass er während des Weltkriegs 1914 – 1918 eine schwere Kopfverletzung erlitten habe. Strafverschärfend wirkte sich aus, dass der Angeklagte als Pfarrer nicht „das Große und Wunderbare der Bewegung“ sehe bzw. nicht sehen wolle.
Pastor Steinle musste die Haftstrafe jedoch nicht antreten, weil sie im Rahmen einer Amnestie zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er konnte seit Ende der Ausweisungszeit seine Arbeit als Gemeindepfarrer weiterführen, was durch die Ereignisse natürlich nicht leichter geworden war, denn in der Kirchengemeinde Netphen gab es erhebliche kirchenpolitische Spannungen.
Zur Haltung des Bruderrates der Siegerländer Bekenntnissynode und der Pfarrkonferenz nur soviel: Neben Zustimmung und Verständnis gab es auch kritische Stimmen, einige unterstellten Steinle Unvorsichtigkeit und hielten seine Äusserungen für sehr gewagt. Der ungeheuerliche Vorgang der mehrfachen Denunziation und die drastischen Maßnahmen des Staates wurden nicht kritisiert. Statt eine Solidaritätsaktion für den gemaßregelten Amtsbruder zu starten, übte man eher Rücksicht auf das verletzte „Ehrgefühl“ der NS-Parteigenossen.
Lebensdaten von Gustav Adolf Steinle
Er wurde geboren am 14. November 1890 in Schwelm als Sohn der Eheleute Kreissekretär Adolf Steinle und Augusta geb. Rubens und besuchte das Gymnasium Barmen und ab 1909 die Predigerschule in Basel.
Ab dem Sommersemester 1911 studierte Steinle Theologie in Tübingen, Halle und Bonn und bestand das 1. theologische Examen 1916 in Halle und das 2. theologische Examen 1917 in Magdeburg. Das Vikariat machte er vom 1. April 1916 bis 31. März 1917 in Helbra/Prov. Sachsen. Kriegsdienst leistete er vom 16. Juni 1917 bis zum 27. November 1918. Danach war Steinle vom 1. Januar 1919 an Hilfsprediger in Liebenwerda/Prov. Sachsen, dort wurde er am 2. Februar 1919 ordiniert.
Seine erste Stelle als Pfarrer trat Steinle am 1. November 1919 in der Kirchengemeinde Breitenhagen/Prov. Sachsen an. Von dort wechselte er am 13. Juni 1926 zur Kirchengemeinde Löbnitz/Prov. Sachsen und am 1. Februar 1928 als Pfarrer zur Kirchengemeinde Rositz/Thür. Am 1. Mai 1932 kam Steinle als 1. Pfarrer in die Ev. ref. Kirchengemeinde Netphen.
Pastor Steinle war seit dem 4. September 1919 verheiratet mit Selma Oehmichen aus Schwelm. Das Ehepaar hatte fünf Kinder.
Er starb am 6. April 1944 in Siegen und wurde auf dem Friedhof an der alten Martinskirche in Netphen beerdigt.
– Zusammenstellung von Hans Rudi Vitt –
Quellen:
Heinrich, Volker: Der Kirchenkreis Siegen in der NS-Zeit. – Bielefeld: Luther-Verlag 1997 (Beiträge z. Westf. Kirchengeschichte, Bd. 13)
Bauks, Friedrich Wilhelm: Die evangelischen Pfarrer in Westfalen von der Reformationszeit bis 1945. – Bielefeld: Luther-Verlag1980. (Beiträge z. Westf. Kirchengeschichte, Bd. 4)